ÖTK Klosterneuburg

Abenteuer Berg - Erlebe die Berge

Die Architektenrunde: Dornbach – Jubiläumswarte - Steinhof

Wer will, geht weiter: Steinhof – Ottakring

 

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Neben der Feuerwache Ottakring betritt man durch das alte, grüne Gittertor das Wiesengelände der Steinhofgründe. Der hier eingeschlagene und aussichtsreiche Weg führt direkt zu einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Wiens, der Kirche Am Steinhof. Auf Grund der besonderen architektonischen Bedeutung, wird den Erläuterungen hier etwas mehr Platz eingeräumt.

 

Steinhof ist ein historischer Flurname, der sich aus den im Ottakringerwald gelegenen Steinbrüchen bzw. den etwas tiefer gelegenen alten Steinhöfen ableitet. Seit mehr als 100 Jahren verbindet man jedoch mit diesem Namen die wohl bekannteste „Irrenanstalt“ des Landes, wie man solche Einrichtungen früher nannte.

Am 12. November 1903 genehmigte der Niederösterreichische Landesausschuss – Wien gehörte damals noch zu Niederösterreich – die „Errichtung der Heil- und Pflegeanstalt sowie eines Sanatoriums für 2.000 Patienten auf den Steinhofgründen". Am 27. September 1904 legte Kaiser Franz Josef I. (1830-1916) den Grundstein und nur drei Jahre später, am 8. Oktober 1907, fand bereits die öffentliche Schlusssteinlegung durch den sieben Jahre später in Sarajewo ermordeten Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) statt.

Die „Weiße Stadt" – die hellen Gebäude waren auf dem fast baumlosen Hanggelände auch aus der Entfernung gut sichtbar – umfasste 61 Objekte und war die größte und modernste psychiatrische Anstalt Europas. Auf dem 144 Hektar großen Areal wurden eigentlich drei Anstalten errichtet. Die Heilanstalt mit 13 Pavillons, die Pflegeanstalt mit elf Pavillons und das westlich gelegene Sanatorium für zahlungskräftige Patienten mit zehn Pavillons. Als Ergänzung und Vervollkommnung der Anlage wurden ein Gesellschaftshaus (Theater) mit einem großen Festsaal, eine Wäscherei, ein Kesselhaus, eine Gärtnerei und ein Wirtschaftshof eingebunden. Daneben waren die Wohnhäuser für Ärzte, Pfleger und sonstige Beschäftigte, sowie Direktions- und Verwaltungsbauten. Für die Bauarbeiten waren ca. 5.500 Arbeiter pro Tag beschäftigt. Es wurde vom Bahnhof Ottakring der Vorortelinie (heute Schnellbahnlinie S45) eine eigene, sieben Kilometer lange Bahntrasse über den Flötzersteig zu den Spiegelgründen angelegt, die nach Vollendung der Arbeiten wieder abgebaut wurde. Mit ihr wurden die Baumaterialien, unter anderem 32 Millionen Ziegel, zur Großbaustelle gebracht. Der ebenfalls benötigte Naturstein wurde von dem nahegelegenen Steinbruch im Rosental gewonnen.

Die Krönung der Anlage stellt die weithin sichtbare Anstaltskirche des Heiligen Leopold dar. Sie thront am Ende der Mittelachse, die aus Eingangstor, Direktion, Theater, Küche und der berühmten Jugendstilkirche gebildet wird. Die Pavillons auf beiden Seiten der Achse sind symmetrisch angeordnet. Diese gestalterische Funktion hatte seinerzeit auch eine praktische Bedeutung. Im westlichen Bereich waren nur Frauen untergebracht, im östlichen nur Männer.

 

 

Die weitläufige Anlage am Südhang des Gallitzinberges wurde vom Niederösterreichischen Landesbauamt ausgeführt. Das Generalkonzept stammt von dem berühmten Wiener Architekten Otto Wagner (1841-1918), zum Teil auch von Carlo von Boog (1854-1905), der zuvor die Landesheil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke in Mauer bei Amstetten (1898-1902) plante. Das Pavillionsystem mit den medizinisch-technischen Einrichtungen und das in der Mittelachse gelegene Jugendstiltheater stammen hingegen von Franz Berger (1853-1938), einem Architekten und Fachmann für Spitalsbauten der Jahrhundertwende. Die bis ins kleinste Detail durchgeplante Jugendstilkirche „Zum Heiligen Leopold“ ist das Werk Otto Wagners und zählt heute zu den bedeutendsten Sakralbauten der Wiener Moderne. Sie wurde nach dem Schutzpatron von Niederösterreich und dem Landespatron von Österreich benannt und liegt weithin sichtbar am höchsten Punkt der „Weißen Stadt“. Die vergoldete Kuppel ist von weiten Teilen Wiens, vor allem vom gegenüberliegenden 13. Bezirk gut einsehbar. Das goldene Wienerherz hatte deshalb dem Berg schon bald den Namen „Lemoniberg“ gegeben.

 

Die heute viel bewunderte Kirche war ein heftig umstrittenes und viel kritisiertes Bauwerk. Wagner konnte aber 1902 den Niederösterreichischen Landtag von seinem revolutionären Plan überzeugen. Er bricht mit dem damaligen Dogma, wonach sich religiöse Gebäude an historischen Vorbildern zu orientieren hätten. Die Anstaltskirche und die Gesamtanlage wurde nicht in dem in Wien weit verbreiteten Stil des Historismus (Wiener Ringstraße), sondern in dem sich seit einigen Jahren immer stärker durchsetzenden „neuen Stil“, der auch als „Art nouveau, Modern Style, Modernisme, Stile Liberty, Reformstil oder Wiener Secession“ bezeichnet wird, ausgeführt. Das architektonische Wagnis konnte man aber nur eingehen, weil sich das mit einer hohen Mauer umgebene Areal der „Irrenanstalt“ zwar in Wien, aber damals noch weit außerhalb des verbauten Stadtgebietes befand. Das Bauwerk zeichnet sich nicht nur durch höchste künstlerische Qualität aus, es wurde auch unter dem für Otto Wagner extrem wichtigen Aspekt der Funktionalität und Zweckmäßigkeit errichtet: Die Kunst hat sich nach uns Lebenden zu richten und Herrin der Kunst ist die Notwendigkeit. (Otto Wagner)

 

Besondere Merkmale der Anstaltskirche sind:

  • Die 28 m hohe Kuppel mit ihren vergoldeten Kupferplatten.
  • Die Außenverkleidung mit den weißen Marmorplatten, die von Kupfernägeln gehalten werden.
  • Ein die weißen Fassadenplatten kontrastierender Natursteinsockel.
  • Das dreigeteilte und überdachte Eingangsportal mit darüberliegendem Rundbogenfenster und Glasmosaik (Kolo Moser).
  • Vier die Vorderfront dominierende Säulen, auf denen vier Engel mit großen, goldenen Flügeln stehen (Othmar Schimkowitz).
  • Die Statuen des heiligen Leopold und des heiligen Severin, die auf den kleinen Glockentürmen thronen (Richard Luksch).
  • Der helle und freundliche Kirchenraum, durchflutet von Licht, das durch die großen seitlichen Glasmosaikfenster dringt (Kolo Moser).
  • Die allseits gute Einsehbarkeit des Altares durch den quadratischen Grundriss des Innenraumes und den leicht zum Altar hin geneigten Boden.
  • Der Infektionen verhindernde, tropfende Weihwasserspender.
  • Die stufenlose Kanzel, die nur durch eine Hintertür betreten werden kann (Paul Neumann).
  • Eine Toilettenanlage in der Sakristei und ein Rettungszimmer.
  • Allseits abgerundete, eher kurz gehaltene Bankreihen, um die Verletzungsgefahr zu verringern.
  • Das 78 m² große, gold und hell leuchtende Altarbild (Remigius Geyling) in Mosaiksteintechnik (Leopold Forstner) und die beiden Seitenaltäre (Rudolf Jettmar).
  • Die pneumatisch betriebene Jugendstilorgel (Swoboda) auf der tonnenüberwölbten Orgelempore.
  • Die sakralen Gegenstände wie Monstranz, Kelch, Kerzenständer und Einrichtungsgegenstände wie Sakristeiglocke, Blumenübertöpfe und Leuchten (Otto Wagner/Wiener Werkstätte) sind die Details des Gesamtkunstwerks.
  • Der goldglänzende Altar mit dem vergoldeten, kreisrunden Baldachin (Othmar Schimkowitz) fokussiert den Blick auf die liturgische Handlung.

In der sonst so gesellschaftskritischen, humoristisch-satirischen Wochenschrift „Hans Jörgl von Gumpoldskirchen“ wird die Heil- und Pflegeanstalt als „Ehrenwerk des Landes Niederösterreich“ gelobt und es wird sehr detailliert über alle gewerblichen Arbeiten und beteiligten Firmen berichtet – eine kleine Fundgrube für besonders Interessierte.

 

So sehr die goldene Kuppel auch glänzen mag, so sehr liegt auch ein großer Schatten über  der „Heil- und Pflegeanstalt“:

In der Zeit des Nationalsozialismus übernahm die Medizin eine neue, schreckliche Aufgabe: die ‚Ausmerzung’ von als ‚minderwertig’ qualifizierten Menschen. Für Personen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten, Angehörige sozialer Randgruppen und Unangepasste war in der nationalsozialistischen Volks- und Leistungsgemeinschaft kein Platz. Sie wurden verfolgt, eingesperrt und der Vernichtung preisgegeben. Die Heil- und Pflegeanstalt ‚Am Steinhof’ wurde in den Jahren nach dem ‚Anschluss’ 1938 zum Wiener Zentrum der nationalsozialistischen Tötungsmedizin, die mindestens 7.500 Steinhof-PatientInnen das Leben kostete.“ 

(© Gedenkstätte Steinhof)

 

Der Weg führt nun wieder zurück zum Eingangstor neben der Feuerwache. Von hier geht man gut zwei Kilometer auf der Johann-Staud-Straße bergab bis nach Ottakring. Der „Abstieg“ durch das Siedlungsgebiet ist vor allem bei guter Sicht lohnend, weil man hier einen sehr weitreichenden Blick auf das Häusermeer von Wien hat. Bei schönem Wetter sieht man bis zum Leithagebirge und bis zu den 60 km entfernten kleinen Karpaten in der Slowakei. Der Weg führt am nur schwer einsehbaren, historischen Wasserbehälter von Steinhof vorbei und erreicht dann die Starchantsiedlung, benannt nach einem alten Ottakringer Flurnamen.

Die in den Jahren 1921-1923 errichtete Anlage war ein Vorzeigemodell christlichsozialer Wohnpolitik der Ersten Republik. Sie ist das Gegenmodell zu den großen kommunalen Wohnanlagen des Roten Wien. Die Siedlung wurde von der christlichsozialen Wohnbaugenossenschaft „Heim“ in traditioneller Form errichtet und weist einen betont dörflichen Charakter auf. Die kleine, trutzige Starchantkirche übernimmt hier sehr demonstrativ die Funktion einer „Dorfkirche“. Die kleine Wallfahrtskirche ist der Heiligen Theresia von Lisieux (1873-1897), einer Ordensfrau der Unbeschuhten Karmelitinnen, geweiht und besitzt seit 1934 eine Körperreliquie der Heiligen. Kirche und Siedlung wurden nach Plänen des Architektenduos Silvio Mohr (1882-1965) und Robert Hartinger (1875-1939) errichtet. Hartinger und Mohr bauten viele Siedlungsanlagen für die Konservativen, nahmen aber auch Aufträge für das Rote Wien entgegen. Aus dem umfangreichen Schaffenskatalog von Silvio Mohr sind noch zu nennen:

  • Schutzhaus am Anninger, Mödling, NÖ (1911)
  • Kristall-Eisfabrik, Wien 20 (1925/26)
  • Wallackhaus am Hochtor/Großglockner (1951)
  • Badeanlage Klosterneuburg

 

Nur wenige Meter weiter erreicht man in der Johann-Staud-Straße 10 den beeindruckenden Sichtziegelbau der Kuffner’schen Sternwarte. Sie zählt zu den ältesten erhaltenen Observatorien Europas und ist ein technisches Denkmal von überregionaler Bedeutung. Erbauer war Moriz von Kuffner (1854-1939), der Besitzer der Ottakringer Brauerei und Bürgermeister vom damals noch zu Niederösterreich gehörenden Ottakring. Kuffners Ziel war es, eine wissenschaftliche Sternwarte zu betreiben, obwohl nur wenige Jahre zuvor in Wien auf der nicht weit entfernten Türkenschanze die größte Sternwarte der Welt errichtet worden war. Er erbte von seinem Vater und seinem Onkel Jakob die Bierbrauerei in Ottakring und ein Millionenvermögen, das es ihm gestattete, sich privat mit Astronomie zu beschäftigen. Kuffner war auch ein begeisterter Alpinist. Er zählte in den 1880er und 1890er Jahren zu den großen Bergsteigern Österreichs. Zahlreiche Erstbesteigungen in den österreichischen und Schweizer Alpen gehen auf ihn zurück. Nach ihm wurden der Kuffnergrat auf den Mont Maudit (4.465 m) und der Kuffnerpfeiler auf dem Piz Palü (3.900 m) benannt. Von 1884-1889 veröffentlichte er auch Aufsätze in den Publikationen des Österreichischen Alpenvereins.

Die Sternwarte, das Kuffner-Palais in der Ottakringer Straße 120 und etliche Industriegebäude für die Brauerei wurden von Franz Neumann jun. (1844 – 1905), dem Hausarchitekten der Familie Kuffner, geplant. Neumann war Mitarbeiter des bekannten Architekten Friedrich von Schmidt und war von 1873 bis 1883 an dessen großen Wiener Rathausprojekt beteiligt. Er war nicht nur ein führender Repräsentant des Wiener Späthistorismus, er kreierte auch den sogenannten „Semmeringstil“, eine Villenarchitektur mit Natursteinsockel und Holzaufbau, weit vorgezogenem Dach, Holzdekor, Erker und Dachtürmchen. Neumann war einer der produktivsten, aber auch innovativsten Baukünstler seiner Zeit.

Weitere bekannte Bauwerke Neumanns sind:

  • Arkadenhäuser am Rathausplatz (mit Friedrich Schmidt)
  • Antonskirche, Wien Favoriten
  • Donaufelder Kirche, Wien Floridsdorf
  • Villen am Semmering
  • Rathaus von Reichenberg (Liberec, Tschechien), Wien des Nordens
  • Rathaus von Friedland (Frydlant, Tschechien)
  • Villa für Erzherzog Wilhelm, (später als Villa Eugen bezeichnet), Baden bei Wien

Als Mitglied des Österreichischen Touristenklubs plante er auch die Habsburgwarte am Hermannskogel (542 m), am höchsten Punkt von Wien.

Von der Kuffner’schen Sternwarte sind es noch 15 Minuten bis Ottakring, dem Ende der Wanderung.

 

Siehe auch die Wanderempfehlungen Zum höchsten Punkt von Wien

 

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