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Abenteuer Berg - Erlebe die Berge

Die dunkle Seite des Wienerwaldes: Krapfenwaldgasse – Agnesbründl – Hermannskogel – Sulzwiese – Krapfenwaldgasse

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Auch die vorliegende Wanderempfehlung ist wieder ein Ausflug in die Pionierzeit des Wienerwaldtourismus. Dieses Mal führt der Weg aber nicht nur zu den realen, historischen Stätten unserer Ur-Ur-Großeltern, sondern er führt noch weiter – in eine virtuelle Welt des 19. Jahrhunderts – die heute schon weitgehend in Vergessenheit geratene, erschreckend schaurige Sagenwelt rund um den Hermannskogel. Um in diese virtuelle Welt des stadtnahen Wienerwaldes „eintauchen“ zu können, bedarf es aber gewisser Voraussetzungen: Lesen, empathisch Denken und Tragen fester Wanderschuhe. 

 

Ausgangspunkt der Wanderung ist die Haltestelle der Linie 38A „Krapfenwaldgasse“. Die von Grinzing heraufführende Krapfenwaldgasse trifft hier auf die Höhenstraße. Dieser Ausgangspunkt ist auch mit dem Auto leicht erreichbar. Von der Autobushaltestelle abgehend führt ein blau markierter Wanderweg Richtung Kreuzeiche und Jägerwiese und dann weiter bis zum Agnesbründl. Eigentlich beginnt die blaue Markierung beim Krapfenwaldl, heute besser als Krapfenwaldbad bekannt. Dieser Wegbeginn mag manchem eigenartig erscheinen. Ein Blick zurück bringt aber Licht ins Dunkel: Die 1874 in Betrieb genommene Zahnradbahn auf den Kahlenberg hatte beim Krapfenwaldl eine Haltestelle. Wer hier ausstieg, brauchte nur den blauen Farbzeichen zu folgen und gelangte so – ohne nennenswerte Anstiege – zum damaligen Topausflugsziel der Wiener, dem „Agnes- oder Jungfernbründl“. 

Der anfangs schmale und nicht stark begangene Weg erhebt sich über die Höhenstraße, wird dann breiter und führt weitgehend eben bis zu dem großen Wegkreuzungspunkt „Kreuzeiche“. Die „Kreuzeiche“ ist eine alte Flurbezeichnung für eine historische Wegkreuzung zwischen Latisberg (492 m) und Vogelsangberg (516 m). Sie war bereits im 19. Jahrhundert ein wichtiger Fixpunkt der Wienerwaldtopographie und stand damals schon in einer Reihe mit den allgemein bekannten Wienerwaldgrößen Cobenzl, Hermannskogel, Kahlenberg und Leopoldsberg. Der Name leitet sich von einer alten Eiche ab, neben der ein Holzkreuz stand. Solche Flurkreuze und Bildstöcke waren früher keine Seltenheit in den Wäldern. Neben ihrer religiösen Funktion, waren sie auch wichtige Orientierungspunkte in einer touristisch noch nicht erschlossenen Naturlandschaft. Sie befanden sich oft an Kreuzungspunkten zweier oder mehrerer Wege. 

Die „Kreuzeiche“ wird geradlinig überquert, man folgt weiterhin der blauen Markierung, die sich in mehreren Windungen eben an den Berghang anschmiegt und gelangt nach 20 Minuten zur Jägerwiese mit der gleichnamigen, traditionellen Wienerwaldgaststätte. Hinter der Gastwirtschaft, neben dem Tiergehege, führt der blau markierte Weg noch fünf Minuten weiter bis zum Agnesbründl. 

 

Hier ist der dunkle Ort, wo man unter den anfangs genannten Voraussetzungen in die virtuelle Sagenwelt des 19. Jahrhunderts eintreten kann. Hier traf vor 200 Jahren ein einfacher Marienwallfahrtsort auf Baum- und Quellverehrung, esoterisches Kirtagstreiben, Wahrsagerei, Glücksspiel und einen weitverbreiteten Lottoglauben. Befeuert wurde die Szene durch die schaurigen Sagengeschichten, die den Hermannskogel vernebelten und bis hinunter nach Sievering reichten. Die Hauptfiguren waren immer Karl und Agnes, die Nebendarsteller waren die braven Köhlersleute, schwarze und weiße Nonnen, ein wütender und mordender Ritter, Jäger, Förster und ein riesiger Schimmelreiter. Die Tierwelt war durch einen feurigen Adler, einen feuerspeienden Drachen und durch grabende Hunde vertreten. Ritterburg, Kloster, ein ober- und unterirdischer Palast und eine Kirche bildeten die Kulissen im schwarzen Wald und auf der Jägerwiese. Kohlenstücke verwandelten sich in Gold und schaurige Gestalten durchstreiften die nächtlichen Wälder und warteten auf Erlösung.

Tausende Menschen strömten an den Wochenenden hierher, erlebnishungrig, glücksuchend, astrologisch oder religiös motiviert. Sie gaben sich teils närrisch, teils gläubig dem ausufernden Treiben beim Agnesbründl und auf der Jägerwiese hin. Sie wollten das große und kleine Glück kaufen, in die Zukunft sehen und schliefen, von brennenden Kerzen umgeben, am Waldboden neben der Quelle. Ihnen gegenüber standen die Wirtsleute von Sievering bis herauf zur Jägerwiese, die von dieser turbulenten Masse profitierten. Die Wege von Sievering bis zum Bründl waren an den besonderen „Feiertagen“ mit Buden und Marktständen gesäumt, die alles anboten, was man an Wallfahrtsorten und Jahrmärkten bekam.

Der kleinste, aber interessanteste Personenkreis war jener, der sogenannten „Brünnlweiber“ und „Brünnlnarren“. Sie waren die Protagonisten dieser skurrilen Sagenwelt. Aber auch diese Gruppe war nicht homogen. Da gab es jene, die sich als Sagenfiguren verkleideten und Geschäfte mit Handlesen, Wahrsagen, Pendeln und Glücksnummern machten. Und dann gab es jene, denen es nicht ums Geschäftemachen ging, die mit einer ganz anderen Einstellung oft jahrzehntelang das Agnes- und Kohlenbrennerbründel und vermutlich auch das vergessene Geisterbründl besuchten.

 

Walter Hirschberg (1904-1996), Professor am Institut für Völkerkunde der Universität Wien, der die Vorgänge rund um diese Wunderquelle untersucht hatte, schrieb in seinem 1949 erschienen Büchlein „Das Agnesbrünnl“ über die „Brünnlweiber“ und „Brünnlnarren“:

„Sie waren einfache, schlichte, gute und fromme Menschen und beseelt von einer großen Liebe zur Natur, ein bisschen wohl angesteckt von der schwärmerischen Empfindsamkeit romantischer Zeiten. Infolge ihres hohen Alters und ihrer Bildungsstufe waren sie oft auch schon ein wenig kindisch. Manche unter ihnen schlug auch die Karten auf und dünkte sich als Prophetin. […]

Manche Frauen gingen schon seit dreißig oder vierzig Jahren zum Brünnl. Es sind nicht bloß immer nur Frauen gewesen, die ihr Glück beim Brünnl suchten, es gab auch Männer, die mitunter bei den Frauen im Walde schliefen. […]

Der Zweck dieses Schlafens im Walde war und ist, die dabei gewonnenen Träume nach Nummern auszudeuten und die im Halbschlaf oder auch Wachsein gehabten Erscheinungen (rollende und zerplatzende Kugeln, weiße Tiere, Karl und Agnes, Schimmelreiter, grüner Jäger usw.) gleichfalls in Glücksnummern zu übersetzen. Verglich ich die vielen „wahren“ Begebenheiten, die die Frauen selber hatten, mit den bekannten um den Hermannskogel und das Agnesbrünnl kursierenden Sagen, dann sah ich Verwandtes und Gleiches. Die Frauen erlebten immer wieder von neuem die gehörten und bekannten Sagenmotive, wobei es merkwürdig war, dass sie einerseits von der Wirksamkeit und dem Bestehen dieser „Geistergestalten“ vollkommen überzeugt waren, andererseits aber selber Fälle zum Besten gaben, die von einer bewussten Irreführung erzählten. […]

Wenn die Frauen zum Brünnl gingen, waren sie stets bereit, ein Wunder zu erleben. Sie gierten förmlich danach. Es kam auf die „Begegnisse“, die sie dabei hatten, an. Sie wurden hellhörig und seherisch und nichts entging ihrer gesteigerten Aufmerksamkeit. Phantasie und Einbildungskraft wurden übermächtig. So kam es wohl vor, dass sie plötzlich neben sich eine fremde Person zu sehen vermeinten, die mit ihnen sprach. […]

Fast eine jede spielte sich ein wenig als Prophetin auf, die eine mehr, die andere weniger, ohne aber ein besonderes Aufsehen von sich zu machen. Alles war sozusagen für den „Privatgebrauch“ berechnet. Es geisterte auf, unter und zwischen den Bäumen im Walde, feurige Kugeln rollten über den Boden und an den Bäumen empor, Geistertiere und geisterhafte Wesen aus dem Sagenschatz des Hermannskogels, meist weiß gekleidet, tauchten auf und verschwanden spurlos zwischen den Bäumen. Es war nicht geheuer im Sieveringer Wald. […]

Im Überschwang romantischer Gefühle nannten sich die Brünnlnarren auch „Waldfeen und Prinzen“, halb im Spiel und halb im Ernst. […] 

Zu Johannis (29. August) spielten sie scherzhaft die Karl- und Agnessage, dergestalt, dass sie sich als Karl und Agnes verkleideten. Auch einen Priester stellten sie dar, der die beiden traute. Zum Zeichen seiner Würde trug er einen Gansflügel, den er als Weihwedel benutzte. Wer darin etwa eine Verhöhnung des Religiösen sähe, der befände sich auf einem völlig falschen Weg. Dies kam den alten Frauen gewiss nicht in den Sinn. Dazu waren sie in ihrem Herzen viel zu fromm, viel zu gläubig im echten Sinne des Wortes. Sie spielten nur die Brünnlnarren, so wie eben Kinder spielen, sie spielten zu ihrer Unterhaltung, zur Freude ihres einfältigen Gemütes. Und am Rande des Spiels lagen die glückbringenden Nummern. Es mag manchmal Augenblicke gegeben haben, bei denen sie die Schwelle des Spiels überschritten und in die Wirklichkeit gerieten und dann glaubten, tatsächlich die Gestalten des Spieles selber zu sein. Dann waren sie eben die Waldfeen und Prinzen, die ihr Denken stark bewegten und in ihren Köpfen spukten“.

 

Wer die historischen Vorgänge rund um das Agnesbründl gelesen und sich mit den turbulenten Geschehen vertraut gemacht hat und darüber hinaus über die Fähigkeit besitzt, empathisch zu denken, der ist nun tatsächlich in dieser virtuellen Welt des 19. Jahrhunderts angekommen. Die Avatare dieser virtuellen Welt, in die die Brünnlweiber und Brünnlnarren schlüpften, waren die tragischen Sagengestalten der Agnessage: Agnes die Waldfee, Agnes die Feentochter, Karl der Köhlerssohn, Karl der Ritter und König … und noch einige mehr.

Bliebe noch zu klären, wofür man die dritte Voraussetzung, die festen Wanderschuhe benötigt. Sie sind das Werkzeug, das Tool, um aus der erlesenen, zweidimensionalen, virtuellen Sagenweltwelt in eine mehrdimensionale Erlebniswelt zu treten.

Im Manual/Handbuch für dieses dritte Werkzeug ist zu lesen:

  • Verlassen Sie die markierten und ausgetretenen Wege.
  • Gehen Sie in den Wald – vorzugsweise Hochwald – hinein.
  • Achten sie aber auf gefährliche Bäume und meiden sie stürmische Tage.
  • Gehen Sie nicht an belebten Tagen oder Wochenenden.
  • Gehen Sie nicht bei blauem Himmel und Sonnenschein.
  • Gehen Sie vorzugsweise bei nebeliger und feuchter Witterung.
  • Gehen Sie nicht in der Gruppe, sondern allein oder mit einem/einer Gleichgesinnten.
  • Fotografieren Sie, um ihren Blick zu schärfen.
  • Fotografieren Sie nicht, um diese Fotos weiterzusenden.
  • Machen Sie keine „Wald- und Wiesen“ aufnahmen.
  • Verwenden Sie die Zoomfunktion, um bessere Geschichten erzählen zu können.
  • Blenden sie Unpassendes aus und fokussieren Sie auf ein spezielles Thema.

Wer sich an diese Empfehlungen hält und dann zwischen den feuchten, umgestürzten Eschen am dunklen Abhang neben dem Agnesbründl steht, der wird den Nachhall der alten Zeiten spüren, der diesen sonderbaren Ort umgibt. Emotional und empathisch geerdet, kann man jetzt sehr entspannt den zweiten Teil der Wanderung antreten: Das Aufsuchen jener Orte, an denen die Sagen des Hermannskogels spielen.

 

WE14 Sagenplan

 

 

1922 hatte der Döblinger Heimatkundler Gustav Lothar Schremmer (1883-1924) „Die Sagen des Kahlengebirges“ in einem Heftchen zusammengetragen, um sie den Leuten wieder in Erinnerung zu rufen und die Geschichten für weitere Generationen zu bewahren. Der Reinerlös sollte der Verschönerung des Agnesbründls zu Gute kommen. Die hier wiedergegebene Sagenauswahl ist vorwiegend diesem Heftchen entnommen.

 

Die Hauptsage dieses Sagenkreises, von der sich viele weitere Erzählungen ableiten, ist die Sage vom Agnesbründl. Die Handlung beginnt bei der Quelle, verlagert sich dann nach Wien zur Zeit der „Türkenbelagerung“ und kehrt am Ende auf sehr tragische Weise wieder in den Wald des Hermannskogels zurück.

Es ist die Erzählung von einer Fee namens Agnes, die mit einem König namens Karl bei dieser Quelle eine Liebesnacht verbrachte. Diese Nacht hatte Folgen. „Einige Zeit nach dieser Begebenheit gebar die Fee ein wunderliebes Mädchen; sie wusste aber nicht, wo sie das Kindlein unterbringen solle.“ Die Feen-Tochter wird ebenfalls Agnes (Jung-Agnes) genannt und wurde auf Drängen ihrer Mutter von den hier ansässigen Köhlersleuten aufgezogen. Nicht nur, dass die Köhlersleute für ihre Dienste von der Fee bezahlt wurden, konnte die Tochter Agnes auch mit ihren Zauberhänden Kohle in Gold verwandeln. „So konnte schließlich der Köhler unweit der großen Buche ein prächtiges Schloss und eine schöne Kirche bauen“. Die einfachen Leute hatten einen gleichaltrigen Sohn, der ebenfalls den Namen „Karl“ trug. Alleine durch diese Namensgleichheiten entstehen in weiterer Folge Varianten von Sagenhandlungen. 

Agnes und Karl wuchsen heran und verliebten sich ineinander. „Die Fee sah mit Freude das Gedeihen ihres Kindes und das Wachsen der Liebe zu Karl. Da wollte sie den künftigen Gemahl ihrer Tochter zu hohen Ehren bringen.“ Karl zog mit 300 Reitern vor die Tore Wiens, kämpfte erfolgreich gegen die Türken und half die Stadt zu erretten. „Der Kaiser gab ihm dann zum Dank für seine Heldentaten eine hohe Stellung; so wurde er hochgeehrt und verkehrte viel bei Hofe. Doch dort lernte er schöne, feingebildete Hofdamen kennen, die gar gerne dem schönen, geehrten Ritter ihre Huld zeigten; und bei Festlichkeiten, Siegesfeiern, Turnieren vergaß er seine Agnes ganz und schließlich brach er ihr auch die Treue.“

Wieder zu Hause zurückgekehrt leugnete er seine Damenbekanntschaften, was die Fee enorm erzürnte. „Es öffnete sich die Erde und mit furchtbarem Getöse versanken Palast und Kirche in den Abgrund. Agnes und Karl aber wandeln seit dieser Zeit in den Wäldern ruhelos umher … Täglich soll um die zwölfte Stunde mittags und mitternachts ein schwarzgeharnischter Mann aus dem Baume beim Bründl steigen. Wenn man sich auf der Agneswiese aufs rechte Ohr legt, so hört man, wie die 300 Reiter Karls zum Kampfe üben … Erst wenn der Platz, auf dem das Schloss einst stand, zehnmal Wald und zehnmal wieder Wiese gewesen ist, können Agnes und Karl erlöst werden.“ 

 

Wenn man bedenkt, dass Buchenwälder erst in einem Alter von ca. 120 Jahren geschlägert werden, dann müssen Karl und Agnes noch bis zum Jahr 2883 durch die Wälder geistern. Es darf daher auch heute noch dringend zur Vorsicht geraten werden!

Vom Agnesbründl kehrt man nun wieder auf die Jägerwiese zurück. Auch diese Wiese, die sich ein Stück zum Hermannskogel hinaufzieht, verdankt ihren Namen einer Sage. Es ist die Geschichte einer Prozession weißer Frauen, von einem Kristallpalast, von einem Jägerburschen und seiner Geliebten. Sieben Jahre unerklärlicher Zeitverlust, eine Jagdtasche voll Gold und ein eifersüchtiger Förster bilden den Stoff, der mit Mord, Selbstmord und einem gebrochenen Mädchenherzen endet. Das sogenannte „Jägerkreuz“ neben der Gastwirtschaft ist heute der letzte Zeitzeuge dieser Tat.

Die große Jägerwiese bietet aber Platz für noch mehr Sagengeschichten. Etwa jene vom Schimmelreiter, der um Mitternacht mit seinem weiß leuchtenden Ross die Wiese heruntersprengte und einer armen Frau vermodertes Holz gab, das sich zu Hause in pures Gold verwandelte.

Auch ein feuriger Adler mit einem goldenen Schlüssel im Hakenschnabel schwebte hier schon hernieder und eine andere Sage erzählt von einem feuersprühenden Drachen und einem aus dem Boden steigenden hellerleuchteten Schloss. Ein tapferer Mann wollte den „Kohlenbrenner-Karl“ erlösen, konnte den Anblick des grässlichen Tieres aber nicht ertragen du starb. Alle diese Ungeheuer verhinderten die Erlösung von Agnes und Karl.

 

Wer nun zum nächsten noch schrecklicheren Schauplatz der Volkssage weitergehen möchte, muss sich der roten Markierung anvertrauen, die auf den Hermannskogel, den Hüter dieses Sagenschatzes führt. Der breite Weg verläuft vorerst entlang der Wiener Stadtgrenze, leicht zu erkennen an den quadratischen Grenzsteinen mit der Aufschrift „GW“ für Gemeinde Wien und „1891“, dem Jahr, an dem die Steine gesetzt wurden. Der rot markierte Weg führt an der steilen Kogelwiese vorbei, steigt dann an und endet am Hermannskogel bei der sogenannten Goldwiese. Der Wiesenname lässt bereits vermuten, dass sich hinter dieser Bezeichnung eine weitere Sage verbergen könnte.

Es ist die Sage von der „Schlimmen Nonne“. Sie erzählt von einem Nonnenkloster, das hier heroben gestanden haben soll: „In diesem Kloster war auch eine arge Nonne, die geheime Wünsche trug und die Freuden der Welt genießen wollte. Zur Nachtzeit, wenn die Mitschwestern bereits in ihren Zellen schliefen, fing das schlimme Nönnlein an, allerhand Spuk zu treiben. Es bekränzte sich mit Krötenkraut und Rosmarin, setzte sich auf einen Besenstil und ritt vergnügt durch die Lüfte auf den Blocksberg zu fröhlichem Hexensabbat und unterhielt sich mit dem Satan in losester Weise. Schließlich verschrieb es sich ganz dem Teufel. Doch hatte die Nonne vom Teufel die Zusage erhalten, dass er sie nicht zerreißen oder holen werde, ‚so lange sie ihr Wesen treibe und innerhalb des Klosters bleibe‘. So genoss sie in Falschheit und Sünde verbotene Freuden“.

Dass die Geschichte nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Ein schmucker Jägersbursche lockte die junge Nonne unter dem Vorwand, mit ihr nach einem Goldschatz suchen zu wollen, aus dem Kloster. Doch: „Der Jäger war der Teufel. Er packte die Gottvergessene, zerriss ihren Leib und fuhr mit ihrer Seele zur Hölle“.

 

Gustav Lothar Schremmer hat diese und auch alle anderen „Sagen des Kahlengebirges“ von dem Germanisten und Volkskundler Theodor Vernaleken (1812-1907) übernommen. In seinem 1859 erschienenen Werk “Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich“ nehmen sie den ersten Platz ein. Vernaleken wiederum bezog sich bei dieser Sage auf ein Gedicht des Orientalisten Joseph Hammer-Purgstall (1774-1856), erschienen 1813 in Franz Sartori‘s, “Mahlerisches Taschenbuch für Freunde Interessanter Gegenden“. Ein schönes Beispiel dafür, dass Sagen nicht nur mündlich weitererzählt, sondern auch weitergeschrieben wurden. Der Goldschatz wurde auf der Goldwiese nicht gefunden, die höchste Wiese Wiens heißt dennoch so.

 

Noch aber ist der höchste Punkt des Berges nicht erreicht. Man wendet sich bei der Wegkreuzung nach links und erreicht in 5 Minuten den Gipfel des Hermannskogels (542 m), diesmal auf grün markiertem Weg. Auch die Sagenerzählungen erreichen hier ihren schrecklichen Höhepunkt:

„An der Stelle, wo sich heute der Aussichtsturm des Hermannskogels erhebt, stand einst die Burg des weit und breit gefürchteten und gehassten Ritters vom Kogel. Dieser hatte eine wunderschöne und gute Tochter, die Agnes hieß“. Diese ebenso hübsche wie gutherzige Tochter betete am Grabe ihrer Mutter, verteilte Essen an die Armen im Dorfe und verliebte sich in einen ihr zugetanen Köhlerburschen. Bei einer Quelle im Wald gestand er ihr seine Liebe. „Mit bebender Stimme fragte sie ihn: „Hast du mich wirklich so lieb?“

Der Köhlerbursche konnte darauf keine Antwort mehr geben, denn tot lag er in seinem Blute. Der grausame Ritter vom Kogel hatte die beiden belauscht und die Antwort mit blutigem Schwerte gegeben“. Agnes fiel in Ohnmacht. Der Ritter ließ die Leblose auf ein Pferd binden und in den Kerker seiner Burg werfen. „Plötzlich wurde die schwere Türe aufgerissen und der Vater trat finsteren Blickes herein. Das Mädchen fiel ihm zu Füßen; doch wütend riss er die Ärmste empor und stieß ihr mit grässlichem Fluche eine glühende Nadel ins Herz. In diesem Augenblick barst die Erde unter fürchterlichem Krachen, als wäre die Welt aus den Fugen gegangen“. Die Burg war im Erdboden versunken. „Im Volke erzählt man, dass die beiden Liebenden seitdem ruhelos in der Gegend umherwandern und der Erlösung harren. Auch haben manche aus dem Inneren des Berges die Turmuhr schlagen hören“.

 

Eine Burg wird man am Hermannskogel vergeblich suchen, der zinnenbekrönte, massige Aussichtsturm am Berggipfel ist aber unübersehbar. 

Habsburgwarte 6

Er wurde von dem Wiener Architekten und Politiker Franz Ritter von Neumann jun. (1844 – 1905) entworfen. Neumann war Mitarbeiter des bekannten Architekten Friedrich von Schmidt (Umbau und Renovierung der Stiftskirche Klosterneuburg) und war von 1873 bis 1883 an dessen großen Wiener Rathausprojekt beteiligt. Er war ein führender Repräsentant des Wiener Späthistorismus und griff in freier Variation historische Themen auf, wie man an dem „kleinen Burggebäude“ am Hermannskogel gut erkennen kann. Und er brachte noch eine sehr günstige Voraussetzung mit, er war Mitglied des Österreichischen Touristenklubs, der ja 1884 diesen Turmbau in Auftrag gegeben hatte. Die Schlusssteinlegung dieses Kaiserjubiläumsbauwerks erfolgte am 19. November 1888, dem Namenstag der Kaiserin Elisabeth (Sissi, Sisi), die Eröffnung baubedingt ein Jahr später, also zu einem Zeitpunkt, als das „sagenhafte“ Treiben am Hermannskogel noch voll im Gange war. Die Habsburgwarte am Hermannskogel ist daher mehr als nur ein schöner Aussichtsturm, sie ist die Antwort eines Architekten auf das soziale Umfeld des Bauplatzes, auf die damals noch sehr präsente Sagenwelt des Hermannskogels.

 

Hier, am höchsten Punkt von Wien, ist auch der Wendepunkt dieser Wanderung. Für den Rückweg zur Jägerwiese bieten sich zwei Möglichkeiten an: Man geht denselben Weg zurück, den man heraufgekommen war, oder man steigt über den wesentlich steileren, gelb markierten Weg zur Jägerwiese ab. Dieser schmale Steig läuft am landschaftlich sehr schönen, steinigen Grat hinter der Habsburgwarte entlang, fällt dann steil ab und endet bei der Gastwirtschaft Jägerwiese.

 

Eine letzte Sagengeschichte sei noch erwähnt, die sich hier heroben zugetragen haben könnte und die ihr reales Ende in Sievering nahm. Die Rede ist von der Sage über „Das Agnesbild“:

„Da war einmal ein armer Bauer, dem ging es so schlecht, dass er seines Lebens überdrüssig wurde. In seiner Verzweiflung stieg er auf den Hermannskogel, um sich zu erhenken. Während er nach einem passenden Baum suchte, erschien ihm Agnes und fragte ihn, was er vorhabe. Da klagte er ihr sein Leid. Sie winkte ihm, ihr zu folgen. Durch eine versteckte Bergspalte kamen sie zu einem unterirdischen Schloss, wo ihm Agnes einen Sack voll Kohlen gab. Sie bewirtete ihn dann, sprach ihm Trost zu und mit neuem Lebensmute nahm er endlich dankend Abschied. Da schenkte sie ihm noch ihr Bildnis und sprach: „Bewahre es auf! Wenn dir wieder solch trübe Gedanken kommen sollten, so betrachte es und erinnere dich meiner!“  

Zu Hause angekommen, verwandelten sich die Kohlen in blankes Gold. Der Bauer baute sich ein neues Haus und eröffnete in Sievering eine Gastwirtschaft. Das Agnesbild ließ er in der Einfahrt aufhängen. 

Hier ist der Punkt, bei dem die Sagengeschichte in die Realität wechselt. Das Gasthaus gab es tatsächlich, es war das Restaurant „Zur Agnes“ in der Sieveringer Straße 221, und es hängten dort zwei Bilder in der Einfahrt. Das eine Bild zeigte Agnes, das andere ihren Bräutigam, den Kohlenbrenner-Karl. Das Agnesbild hatte in der rechten Bildhälfte flächenhaft verschwommene Wasserflecken, die dem Bild wohl von Anfang an absichtlich zugefügt wurden. Das Bild tat, was man von ihm erwartete. Es zog die Menschen in Scharen in das Restaurant. Und sie betrachteten das Agnesbild samt den eigenartigen Flecken und erkannten, so wie die Menschen oben beim Agnesbründl, die Glückszahlen für das nächste Lottospiel. Viele, die nicht zum Bründl hinaufgehen wollten oder konnten, fanden so das Glück im Gasthaus „Zur Agnes“. Der Volkskundler Theodor Vernaleken berichtete, er habe einmal eine alte Frau vor dem wundertätigen Bild angetroffen. Auf seine Frage: „Sehen Sie denn etwas?“ habe sie geantwortet: „Na, i sich grad nix, oba i moan halt i sichs“. Besser kann man den psychologischen Hintergrund solcher Vorgänge nicht beschreiben!

 

Nach dem 20minütigen Abstieg steht man nun wieder auf der Jägerwiese, die im 19. Jahrhundert durch Büsche geteilt war. Sagenbedingt nannte man den einen Teil „Agneswiese“, den anderen „Karlswiese“, gemeinsam bildeten sie aber auch damals schon die „Jägerwiese“. Hier befindet sich der größte Wegknotenpunkt im Kahlengebirge. Acht markierte Wanderwege gehen von hier in alle Himmelsrichtungen ab.

Für den Rückweg wählt man den rot markierten Weg, dessen „Fernziel“ der Kahlenberg ist. Der breite Forstweg führt über den unscheinbaren „Langerberg“, an dessen Nordhang sich das „Geisterbrünnl“ befand, ein in der Literatur nicht näher beschriebener Nebenschauplatz des Agneskultes. Bei der heute noch so benannten „Agneswiese“, die man nach wenigen Minuten erreicht, wird man noch einmal an die Sagengeschichten erinnert, die heut nur mehr ganz schwach in die Gegenwart herüberstrahlen. Dann verlässt man endgültig den Sagenkreis. Der rot markierte (Höhen-)Weg führt zuerst eben, dann etwas fallend weiter bis zur Sulzwiese mit dem Schönstatt-Zentrum. Hier trifft man auf die Wiener Höhenstraße und den Höhenstraßenbegleitweg. Man verlässt die rote Markierung, biegt nach rechts ab und gelangt auf dem asphaltierten, leicht fallenden Weg oberhalb der Höhenstraße wieder zum Ausgangspunkt zurück.

 

Peripatetikern, also Menschen, die während des Gehens besonders gut Gedanken fassen können, wird dieser einfache und geradlinige Rückweg sehr entgegen kommen, bietet er doch die Gelegenheit, das Erlebte zu überdenken, die virtuelle Welt des 19. Jahrhunderts mit den virtuellen Welten von heute zu vergleichen und nach den gemeinsamen Beweggründen zu suchen, die Menschen in die Avatare der Sagen- und Digitalwelten schlüpfen lassen. Und vielleicht ist die Autobushaltestelle „Krapfenwaldgasse“ der Linie 38A noch vor dem Ende des letzten Gedankenganges auch schon erreicht.

 

Siehe auch die Wanderempfehlungen:

Weihnachten im Walde

Eine Pilgerreise zum Lotteriebründl

Zum höchsten Punkt von Wien

 

Wegtyp: Rundweg

Weglänge: 8 km

Wegzeit: 2 ¼ h

Markierungsfolge: blau – rot – grün – gelb – rot

WE14 Plan

 

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